Sonntag, 3. Juli 2011

Prisoner-of-War (POW) Camp: Hearne, Texas

Ich hatte es mir schon seit langem vorgenommen, aber erst an meinem letzten Wochenende in College Station bin ich dazu gekommen, einen Ort aufzusuchen, der Zeuge eines unscheinbaren Kapitels Deutsch-Amerikanischer Beziehung im 2. Weltkrieg geworden ist: das Kriegsgefangenenlager Hearne, Texas, ca. 1/2 Autostunde von College Station.
 Eingangsbereich des Kriegsgefangenenlagers Hearne, TX
Ein Nachbau einer typischen Barracke, in der bis zu 200 Soldaten untergebracht wurden
Fast vier Jahre lang von Mai 1943 bis Anfang 1947 waren hier 4.800 Deutsche Soldaten interniert mit eine überproportional hohen Anzahl an Offizieren. Insgesamt gab es in den USA über 550 solcher Lager mit knapp 400.000 deutschen Kriegsgefangenen. Die meisten Internierten kamen aus Rommel´s Afrikakorps, das im Mai 1943 vor den Allierten kapitulierte. Die Lager entstanden größtenteils im Süden der USA, speziell in abgelegenen Gegenden, wo die Fluchtgefahr gering ist. Texas hatte fast die Hälfte (ca. 200) aller Camps.
Die Soldaten wurden streng nach den Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen behandelt (Eigendarstellung der Ausstellung). Das bedeutete die gleiche Versorgung wie amerikanische Soldaten, keine "Propaganda", keine Arbeitsverpflichtung, Unterbringung in ähnlicher Klimazone wie Gefangennahme und keine Hinrichtungen oder sonstigen Bestrafungen für kriegerische Handlungen.
Die Wachmannschaft überließ sogar die interne Verwaltung des Lagers auf Basis der Genfer Konvention der vorhandenen Befehlsstruktur in der Wehrmacht, was heißt, dass Offiziere noch immer Anweisungen an unterstellte Soldaten geben konnten. Aufgrund der fehlenden Beschäftigung durch Arbeit fingen viele Soldaten an, neuen Freizeitbeschäftigungen nachzugehen, zum Beispiel Kreieren von Kunst, v.a. Malerei und Betonfiguren, aber auch Theaterstücke wurden aus der Erinnerung heraus aufgeschrieben und aufgeführt. Die beliebteste Sportart war Fußball. Darüber hinaus gab es die Möglichkeit, diverse Kurse zu belegen. Vom einfachen Englisch-Lernen bis hin zu Medizinkursen, die an der Baylor University sogar als Credits gewertet wurden, war alles dabei. Auch Professoren der Texas A&M University kamen regelmäßig nach Hearne und unterrichteten in verschiedenen Fächern. Zugegebenermaßen, den Soldaten ging es den Umständen entsprechend relativ gut. Die einzige Belastung war psychischer Natur, vor allem die Entfernung nach Deutschland und die Ungewissheit, wie lange man inhaftiert war. Allerdings bestanden (zensierte) Postverbindungen in die Heimat. Am Anfang hatten die Soldaten sogar noch die Pflicht (!), nach Hause zu schreiben.
Nachbau eines Lagerbettes für die deutschen Kriegsgefangenen
 Kunstwerke von deutsche Soldaten
Diese Gemälde entstanden größtenteils aus den Erinnerungen der Soldaten an die Heimat
 Die Bilderrahmen wurden später angefertigt
Die Soldaten haben eine Barracke vollständig umgebaut in ein Theater mit Orchestergraben, einer schrägen Ebene und Bühne
Lernkurse jeglicher Art im Lager
Nach Ende des Krieges weichte die USA die Behandlung nach Genfer Richtlinien Schritt für Schritt auf. Nahrung wurde rationiert und der Arbeitseinsatz eingeführt, um die zuvor rationierte Menge wieder zu verdienen. Die Rückkehr nach Deutschland erfolgte erst mehr als ein Jahr nach Kriegsende und dann mit Umwegen mit Aufbaueinsätzen in England, Frankreich, Belgien oder Holland. Darüber hinaus gab es einen so genannten "Demokratieunterricht" für verlesene Soldaten, die einen "offenen" Eindruck machten. All diese Dinge verstießen gegen die Genfer Konvention.
"Propaganda"-Zeitung speziell geschrieben für die deutschen Kriegsgefangenen in den USA, u.a. verfasst von Thomas Mann (der bereits vor dem 2. WK in die USA emigriert ist)
Abschlussausgabe der Zeitung, kurz bevor die Soldaten Anfang 1947 nach Hause gebracht wurden
Arbeitseinsatz auf den Baumwollfeldern in der Region Hearne, TX
Heute ist das Lager eine Gedenkstätte direkt am Highway 6. Eine Museumsmitarbeiterin hat sich für mich persönlich 1,5 Stunden Zeit genommen und jedes Detail genau erklärt. Vor allem der Willen, zu lernen und die Affinität zur Kunst hat sie persönlich sehr beeindruckend. Auf der andere Seite gab es auch eine Menge Druck von den Wehrmacht-Vorgesetzten auf die Soldaten, keine "Feindgesinnung" anzunehmen. In einem Fall kam es sogar zu einer Ermordung eines deutschen Soldaten durch seine Kameraden, nachdem er lautstark und wiederholt seine Präferenz für die Demokratie kundtat. Nach Aussage der Mitarbeiterin war es allerdings auch ein Fall von, dass "er einfach seine Klappe nicht halten konnte".
Nach Rückkehr der Deutschen wurden die über 100 Baracken des Lagers wieder zurückgebaut. Erst im Jahre 1995/96 fand Prof. Waters (Texas A&M University) durch Ausgrabungen Spuren vom Lager. Er machte sogar ehemalige Häftlinge ausfindig, manchmal über diverse Umwege. Einige immigrierten sogar nach ein paar Jahren in Deutschland in die USA und sind jetzt seit über 50 Jahren amerikanische Staatsbürger.
Ein anderes Beispiel ist Fritz Haus: Er war Teil vom Rommel´s Afrikakorps und geriet im Mai 1943 in Tunesien in Gefangenschaft. Bis zum Ende des Krieges war er in den Lagern Hearne und Huntsville (beide Texas) interniert. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1947 wurde er Missionar in Südafrika, wo ihn Professor Waters aufgespürt hat: Seine Geschichte (in English)
Der Besuch war wirklich eine interessante Erfahrung und ein Ausdruck dessen, dass selbst in den hintersten Ecken von Texas Deutsch-Amerikanische Geschichte geschrieben wurde.

5 Kommentare:

  1. Intressant hiervon zu lesen! Schöne Reise mit Andrea :) Bis bald!

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  2. Vielen Dank, Miri! Berichte folgen bald!

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  3. Hallo Martin, mein Name ist Andreas. Mein Vater war in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Ich recherchiere für ein Buch, das "Leben nach dem Leben" heißen soll. Darinn kommt mein Vater vor. Er wurde in Frankreich nach der Invasion schwerverwundet bei Cherbourg gefangengenommen, dann gings über den großen Teich in die Staaten. Ich glaube es waren die Südstaaten, Texas. In Texas gab es viele Kriegsgefangenenlager. Vielleich kannst Du helfen? ich würde mich freuen.
    LG
    Andreas

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  4. Hallo Martin,
    gab es auch Kriegsgefangenlager in den USA, die Gefangene (wie mein Vater) aus Frankreich gefangen hielten.
    LG
    Andreas

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  5. Interessanter Bericht. Ich habe gerade in einem ererbten Deutsch-Englisch-Wörterbuch meines Großvaters einen Stempel des Lagers gesehen. Mein Opa war offensichtlich dort interniert. Er war davon nicht gerade begeistert, da er Baumwolle pflücken musste. Laut Bericht scheint es da erträglich gewesen zu sein. Später kam er auf eine Farm nach England, was ihm mehr zusagte. Auch wenn es ihm wohl nie bewusst wurde, die Amerikaner haben ihm das Leben gerettet. Während er in Texas war, sind Millionen deutscher Soldaten an der Ostfront verreckt.

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