Montag, 31. Mai 2010

Boston – Bildung als Geschäftsmodell

Die letzte Station meines kurzen Ostküstenintermezzos war die Stadt Boston. Nach Flugzeug und Bahn habe ich für das letzte Stück die berühmten Greyhoundbusse ausprobiert. Die 4h Fahrt ging dank kostenlosem on-board WiFi relativ schnell vorüber und ist auf jeden Fall eine super Alternative zum Zug und vor allem billiger.
Boston ist wesentlich überschaubarer als New York und macht einen außerordentlich gepflegten Eindruck. Im Zuge einer durchdachten Infrastrukturmaßnahme wurde der Interstate 93 auf einer Länge von ca. 5 km vor wenigen Jahren als Tunnel ausgebaut, so dass der Großteil der Stadt ohne Autos auskommt. Im gesamten Gebiet gibt es eine Menge Grünanlagen, Sitzgelegenheiten am Wasser und sonstige Parks, so dass ich nach dem hektischen Treiben in New York tatsächlich Urlaub und Entspannung genießen konnte.
Schicke Skyline gibt es auch hier - wenn auch etwas dezenter als in New York
Auf Hafenrundfahrt
Verrückte College-Zombies ziehen durch die Stadt
Boston wurde 1630 gegründet und war seit dem immer ein Zentrum der dreizehn englischen Kolonien. Mit Harvard, einer Universität, die nach britischem Vorbild gegründet wurde, befindet sich eine der ältesten und renommiertesten Universitäten des Landes in der Region. Zur Zeit der Revolution und Unabhängigkeitserklärung der USA spielte Boston eine zentrale Rolle. Die Boston Tea Party am 16. Dezember 1773 mit dem Slogan „Taxation without Representation“ („Besteuerung ohne Repräsentation“) gilt als einer der Auslöser über den Unmut der britischen Administration in New England. Das am 5. März 1770 begangene Boston „Massaker“, welches durch  zielgerichtete Provokation mit fünf Toten endete und sich danach medienwirksam als Symbol der britischen „Tyrannei“ wie ein Lauffeuer ausbreitete, hat historisch gesehen entscheidenden Anteil an der Unabhängigkeitsbewegung. Auch eines der Schlachten im Unabhängigkeitskrieg fand hier statt. Diese verloren die Amerikaner unter George Washington jedoch, fügten den Briten aber schmerzliche Verluste zu. Seit diesem Tag entwickelte sich Boston ohne weitere gravierende Kampfhandlungen zu einer blühenden Metropole. Ein wesentlicher Meilenstein dafür war die Eröffnung der U-Bahn 1901, als vierte Stadt überhaupt. Daneben entwickelte sich der Bildungssektor zu einem der unangefochtenen Einnahmequellen der Stadt. Neben Harvard gibt es noch bis zu 30 Universitäten und Colleges, darunter das MIT, Boston University, Boston College, etc. Das MIT ist nur eine U-Bahnstation von Harvard entfernt. Der Campus von Harvard ist wirklich schön anzuschauen. Kaum zu glauben, dass hinter diesen Gemäuern eines DER Bildungseinrichtungen der Welt zu Hause ist.
Harvard University Campus - sehr idyllisch
Der Name Ivy League stammt aus Football: die Harvard Crimson
Auf dem Campus der Harvard Business School
Ich habe meine Zeit in Boston also sehr genossen, wenngleich ich nicht der einzige Tourist dort war. Heute (Montag, 31. Mai 2010) ist Memorial Day, also Feiertag, und da ist halb Amerika auf Reisen, so auch in Boston. Hafen- und Stadtrundfahrten waren heillos überlastet und überall waren Menschen unterwegs. Ich wage zu behaupten, dass auf dem Harvard-Campus nur 10% der Menschen wirklich Universitätsangehörige waren. Alle anderen waren Touristen!
Über 22.000 Flaggen für die gefallenen Soldaten aus Massachusetts
Der Hafen-Pier übersät mit Touristen
Memorial Day ist dennoch ein wichtiger Feiertag, an dem aller amerikanischen Soldaten gedacht wird, die seit der Gründung für die USA gefallen sind. Das bewegt viele Menschen hier, was ich an den vielen Gedenkveranstaltungen, dem CNN-Programm und zahlreichen Facebook-Bekundungen erkennen kann.
Ich für meine Begriffe nutze den Tag für meine Rückreise, da ich morgen wieder mit der Uni beginne. Per Flug geht es von Boston zurück nach Houston, wo mich ein netter Kommilitone vom Flughafen abholt. Anders als an der Ostküste komme ich in Texas ohne Nahverkehrssysteme nicht weit. 

Freitag, 28. Mai 2010

New York – am Nabel der Welt

Hinter mir liegen ein paar imposante Tage in Amerika. Schon seit langem war es mein Wunsch, diese Stadt einmal zu bereisen und meine Erwartungen wurden bei weitem übertroffen. So etwas wie New York habe ich selbst nach meinem bislang schon gut vorgelegten Reiseregister noch nicht gesehen. Es ist eine Stadt der Superlative, aber auch eine Stadt, die Charakter hat in Bezug auf ihre Einwohner, Architektur und ihr Einfluss auf die Welt. Durch meine zwei Reisen nach Chicago war ich ein paar hohe Wolkenkratzer schon gewöhnt, jedoch hat das mit dem Betondschungel in New York fast nichts gemein. Zum einem gibt es zahlenmäßig wesentlich mehr; Zum anderen ist das Treiben auf den Straßen um einiges frequentierter. Einige Ecken haben mich sogar an Bombay erinnert, gemessen an der Masse an Leuten auf der Straße.
Per Amtrak-Zug kam ich am frühen Montag Abend bei meinem Kommilitonen Josh an, der ca. 2 min vom Time Square entfernt eine Wohnung für sein Sommerpraktikum bezogen hat. Da sein Mitbewohner erst in der nächsten Woche ankommt, hatte er ein Bett mitten in Manhattan bereit – besser geht es quasi nicht! Ich trat morgens aus der Tür und schon war ich in der Stadt: das UN Headquarter, das Rockefeller Center, MoMA (Museum of Modern Art), Time Square und damit die Broadway-Theater, Empire State Building etc. war alles in Fußmarschreichweite. Das habe ich natürlich gut genutzt. Gleich am ersten Tag habe ich mich in „Midtown“, wie dieses Gebiet im groben genannt wird, bewegt. Ich habe den U.N. Vollversammlungssitzungsaal besucht, bin auf das Empire State Building gefahren, und habe am Abend sogar ein Musical angeschaut: „A Little Night Story“ mit Cathérine Zeta-Jones in der Hauptrolle. Dabei hatte ich großes Glück, dass ich eines der wenigen Student-Rush-Tickets erhaschen konnte und damit für gerade mal 27 Dollar (!) diesem 3h-Event beiwohnen durfte. Ich kann jedem nur empfehlen, bei einem New York-Besuch unbedingt ein Musical mit einzuplanen. Um den Time Square herum am Broadway gibt es über 50 (!) Theater, alle mit eigenen Shows und Musicals, die täglich stattfinden, allerdings aber meist über 100 Dollar kosten!
Time Square bei Nacht
Börsenkurse am Times Square
Das U.N. Headquarter am East River
Im Sitzungssaal der U.N. Vollversammlung
A Little Night Music mit Cathérine Zeta-Jones
Das ist eindeutig: Denk´ nicht mal dran, hier zu parken ;-)
Das Rockefeller Center (eröffnet 1939)
Blick vom Empire State Building, dem derzeit höchsten Gebäude New Yorks
Am zweiten Tag bin ich dann in den Süden von Manhattan gefahren. Nach einer kurzen U-Bahnfahrt habe ich mich erst mit einer Fulbrighterin an der New York University (NYU) getroffen, mit der ich erstmal schön indisch essen war. Danach bin ich weiter zum Ground Zero, wo ich mich mit Wanda aus New Jersey traf. Nachdem wir ein wenig am Ground Zero, an der Wall Street, wo gerade Portugal-Tag war und uns anstatt der amerikanischen Flagge ein Portugal-Plakat entgegenwehte, und am Pier um die Brooklyn Bridge herumgewandert sind, hatte sie die Idee, doch mal nach New Jersey herüberzufahren. Ein super Gedanke, wie sich herausstellte, denn: die Fahrt mit dem Zug vom World Trade Center nach Hoboken dauerte nur 15 Minuten, jedoch landet man in einer völlig anderen Welt. Der Unterschied war gravierend. Statt gehetzten, genervten und vor allem vielen Menschen, entgegnete uns in Hoboken eine Athmosphäre von Gelassenheit, Frische und einer Menge Luft zum Atmen. Ich kann gut nachvollziehen, dass die Menschen nicht nur aus Kostengründen aus Manhattan herausziehen, sondern auch um eine wesentliche Steigung in der Lebensqualität zu bekommen. Mit ihrer besten Freundin sind wir dann noch ein wenig durch die Kneipen gezogen. Weiterer Vorteil: auch das Becks Bier kostet hier wieder 3 Dollar!
Am Ground Zero wird wieder gebaut - was, konnten mir aber selbst die Einheimischen nicht sagen
Die NYSE mal in anderen Farben: Portugal-Tag in New York
Mit Wanda unterwegs in Süd-Manhattan
Rush Hour in New York - der sogenannte Path unter dem Hudson River vom World Trade Center nach Hoboken, New Jersey, Fahrdauer: 15 min
In einer völlig anderen Welt: Hoboken in New Jersey mit einer klasse Sicht auf die Skyline von Manhattan
High School Festumzug in Hoboken, Mittwoch ca. 19 Uhr
In den beiden letzten Tagen habe ich dann ein entspannteres Tempo aufgelegt. Ich bin im Central Park herumspaziert und habe mit Erstaunen festgestellt, wie riesig dieser wirklich ist. Mitten drin hört man in der Tat keine Autos, sondern nur das Zwitschern der Vögel. Im Anschluss daran bin ich ganz nach Süden zur Staten Island Fähre gefahren. Die Fähre ist kostenlos und fährt recht nah an Ellis Island, wo Ende 19./Anfang 20. Jahrhundert die meisten Einwanderer empfangen wurden, und Liberty Island, wo die Statue of Liberty (Freiheitsstatue) steht, vorbei. Außerdem kann man vom Wasser sehr gute Bilder von der Manhattaner Skyline machen. Nach diesem Fährausflug bin ich zu Fuß über die Brooklyn Bridge nach Brooklyn gelaufen und entlang der nächsten Brücke, der Manhattan Bridge, wieder zurück. Letztere hat mich dann direkt zu meinem nächsten Ziel geführt: Chinatown und Little Italy. Die beiden Stadtteile liegen kaum 15 min Gehminuten von der Wall Street entfernt, sind jedoch eine völlig eigene Welt. Chinatown hat wesentlich ältere Häuser und es sind in der Tat überall Chinesen unterwegs. Little Italy ist dagegen merklich kleiner und ich kann mir vorstellen, dass es von den Chinesen immer weiter unterwandert wird, da der Übergang von einem zum anderen sehr fließend ist und der italienische Teil kaum auffällt im Gegensatz zu den allgegenwärtigen Chinesen.
DER Apple Store in New York - natürlich musste ich da hin
Mitten im Central Park - kein Lärm, sondern Idylle und Natur ;-)
Liberty Island und die Freiheitsstatue
Die Brooklyn Bridge von Brooklyn aus - im Hintergrund die Skyline von Süd-Manhattan
Chinatown: Asien mitten in New York
Meine letzte Station war das berühmte Museum of Modern Art, kurz MoMA. Das Museum hat derzeit eine Starkünstlerin, die es über alles promoted: Marina Abramovic aus Serbien. Sie malt jedoch keine Bilder oder gestaltet irgendwelche Skulpturen, sondern sie ist eine Performance Art Künstlerin. Was das ist, habe ich heute erfahren: im Prinzip begreift sie ihren eigenen Körper als Kunst. Vom 13. März bis zum 31. Mai setzt sie sich dazu jeden Tag bis zu 12h reglungslos auf einen hölzernen Stuhl. Ihr gegenüber steht ein weiterer Stuhl, auf dem sich dann ein Zuschauer setzen kann und sie sich beide dann stundenlang anstarren können. Das ist derzeit das Highlight im Museum. Im 6. Stock ist eine ganze Ausstellung ihr gewidmet, da sie solche Aktionen schon seit 40 Jahren macht – sie ist 67! Daneben gab es aber auch viele tolle Bilder aus der Moderne – das Museum beherbergt Werke aus den Jahren 1870 bis zur Gegenwart – zu bestaunen. Ein Besuch war es auf jeden Fall wert, auch wenn ich denke, dass diese Schlussfolgerung von Person zu Person anders ausfallen kann.
Der Eingang des berühmten MoMA (Museum of Modern Art)
Eine persönliche Besonderheit, die mir in New York aufgefallen ist, war, dass ich mal wieder Deutsche gesehen habe. New York ist voll von deutschen Touristen. Da ich ja derzeit in einem eher beschaulichen Ort in Texas studiere, wo ich kaum Kontakt zu Deutschen habe, war der Kontrast ziemlich stark. Wer also im Urlaub lieber auf die heimischen Staatsbürger verzichten will, sollte eher nach Texas als nach New York fahren.
Alles in allem war New York ein einschneidendes Erlebnis, das ich so schnell nicht vergessen werde. Das Gefühl, am Puls der Welt zu sitzen, ist hier allgegenwärtig im Vergleich zu vielen anderen Städten. Ich weiß auf jeden Fall: ich komme wieder! 

Mittwoch, 26. Mai 2010

Philadelphia - amerikanischer Nationalstolz in Betontristesse

Philadelphia ist zweitgrößte Stadt der amerikanischen Ostküste. Die Stadt, die einst die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten ausrief und wo die Gründungsväter die amerikanische Verfassung ausarbeiteten, macht auf den ersten Blick einen eher grauen und angerosteten Eindruck.
Auffallend ist das sehr antiquierte Nahverkehrsystem. Eisenbahnromantiker hätten ihr wahre Freude an den von Hand gelochten und nur im Zug zu erwerbenden Abreißtickets, den fehlenden digitalen Anzeigen, und der auffallend hohen Anzahl an Personal. Ineffizienz, wo man nur hinschaut. Anstelle von Ticketautomaten verkaufen einem Schaffner, von denen es pro Zwei-Wagen-Zug bis zu vier gibt, gegen Aufpreis Tickets im Zug. An den Bahnhöfen hängen nur wenig Übersichtspläne und aufgrund fehlender Hinweisschilder bin ich ein mal sogar in die falsche Richtung eingestiegen, da ich das Plastikschild vorn am zügig einfahrenden Zug nicht schnell genug entziffern konnte. Auch hygienisch war der Eindruck nicht besser. Damit ist das Philadelphia-Nahverkehrsnetz (SEPTA) das wahrscheinlich Antiquierteste in der westlichen Welt. Wer drauf verzichten kann, sollte das auch tun!
Ein zweiter Eindruck ist die auffallend hohe Anzahl der schwarzen Bevölkerung in dieser Stadt. Der Gegensatz zu Texas und auch Washington ist gravierend. Leider sind es auch diejenigen, die zuhauf obdachlos in den Straßen von Philadelphia liegen. Ich habe ehrlich gesagt noch nie so viele arme, bettelnde Leute in einer westlichen Stadt gesehen. Diese beiden Beobachtungen spiegeln sich auch in den Zahlen wider. Von den ca. 1,5 Millionen Einwohnern sind 43% Afro-Amerikanisch. 23% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Philadelphia hat leider auch eines der höchsten Kriminalitätsraten des Landes. Von den zehn größten Städten der USA hat Philadelphia die höchste Mordrate mit 23,0 pro 100.000 Einwohnern (2008, im Vergleich:  Berlin liegt bei 3,8 Morden pro 100.000 Einwohner). Faireshalber muss ich jedoch dazu sagen, dass die Zahl von Washington, D.C. mit 31,4 (2008) deutlich darüber liegt, obwohl ich mich persönlich dort sicherer gefühlt habe.
Philadelphia ist aber dennoch eine Reise wert, vor allem für diejenigen, die einen Einblick von den Ursprüngen der amerikanischen Gesellschaft erhalten wollen. Zwischen 5th und 6th Street in Center City, in einem touristisch sehr erschlossenen Gebiet, befinden sich eine Reihe von Gebäuden, in denen der interessierte Tourist Monumente, wie die Liberty Bell, das Constitution Museum und die Independence Hall besichtigen kann. Die Liberty Bell ("Freiheitsglocke") ist eine Art nationales Symbol, welches trotz dessen, dass die Glocke bereits einen gravierenden Sprung hat, immer wieder in bewegenden Zeiten, z. B. 2. Weltkrieg oder Vietnamkrieg, als Symbol der nationalen Einheit zu Rate gezogen wird. Sie wurde auch von Freiheitsbewegungen für die Abschaffung der Sklavenhaltung, zur Durchsetzung des Frauenwahlrechts oder von Martin Luther King genutzt. Das Constitution Museum ist ein tolles Beispiel für den Stolz der amerikanischen Nation auf ihre ursprünglichen Werte und Ideen, wie Freiheit und Gewaltenteilung, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts fest in der amerikanischen Verfassung verankert sind. Es ist auf jeden Fall ein Besuch wert, um die Geschichte, auch Weltgeschichte, mal durch die Augen der Amerikaner zu sehen.
Die Liberty Bell in Philadelphia
Die amerikanische Flagge im National Constitution Museum
Downtown Philadelphia an einem regnerischen Tag
Des weiteren ist in Philadelphia eine der Ivy League Universitäten, die University of Pennsylvania (oder kurz UPenn), zu Hause. Zusammen mit einer derzeitigen Studentin hatte ich das Vorrecht, mir den Campus anzuschauen und konnte somit einen kleinen Einblick in die 1740 gegründete Uni erhalten.
Zu guter letzt möchte ich noch einen Teil von Philly, wie Philadelphia auch umgangssprachlich heißt, vorstellen, der mir einige Sympathie wieder zurückerobert hat: South Philly. Der Stadtteil ist unweit der Skyline und hat einen sehr alternativen Charakter. An allen Ecken gibt es Yogakurse, exotische Restaurants, Utensilien für den neuen Großstadttrend "Gemüsegarten auf dem Dach" und Biosupermärkte. Dort habe ich mit einem Cheesesteak und einer Innenhofparty bei einer Kommilitonin meinen Aufenthalt ausklingen lassen. Nun geht es nach New York und darauf freue ich schon ganz besonders!
Gemütliches Altstadtflair im Süden von Downtown

Dienstag, 25. Mai 2010

Washington, D.C. - U.S. Regierung hautnah erlebt

Ein Tag nach meiner letzten Semesterprüfung bin ich zusammen mit fünf weiteren Kommilitonen in die Bundeshauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika aufgebrochen. Nach einer Nacht bei einem der Kommilitonen im Süden von Houston und einer morgendlichen Tour durch den "Öl-Belt" von Texas (eine Mega-Raffinerie neben der anderen) landeten wir nach einem ruhigen Flug mit der sehr erfolgreichen Billigfluglinie Southwest Airlines in Baltimore. Per Shuttle ging es dann in den "District", wo wir unser zuvor gebuchtes Hotelzimmer bezogen. Damit kamen allein an diesem Tag nach über 10 Monate zwei US-Staaten, in denen ich bislang unterwegs war hinzu: Maryland und Virginia. Der District of Columbia ist leider kein Staat.
Die Reise nach Washington war ein lang ersehnte Abwechslung, denn diese Stadt ist völlig anders als Texas. Anstelle von breiten Straßen, Hochhäusern und weit angelegten Einkaufsparks tendiert die Stadtansicht mehr gen Europa. Es gibt eine gut ausgebaute U-Bahn, Strecken sind zu Fuß erlaufbar und statt endlos aneinandergereihten Fast Food Läden gab es wieder erstklassige Restaurants und Cafés.
Da wir alle noch nie in Washington waren, sind wir zwei Tage eher angereist und haben die Zeit genutzt, um die Stadt in allen Ecken und Enden kennenzulernen. In einer wahrhaft mammutartigen Tour haben wir alle Sehenswürdigkeiten abgeklappert, die in meinem 7.-Klasse Englischbuch so vorkamen: das Weiße Haus, Washington Monument, Lincoln Memorial, Arlington Cemetery, Denkmal zum 2. Weltkrieg, Vietnam- und Koreakrieg, Jefferson Monument und das Holocaust Museum - an einem Tag! Den Congress haben wir absichtlich ausgelassen, da wir noch im Laufe der folgenden Woche dort sein werden. Am Sonntag habe ich mich dann mit einer Fulbright-Freundin getroffen und wir haben uns zusammen die National Arts Gallery, sowie das Space and Science Museum angeschaut. Washington hat schon einiges an touristischen Aktivitäten zu bieten. Die Stadt macht einen sehr netten Eindruck, obgleich ich mir bewusst bin, dass Washington auch andere Seiten hat. Diese treten allerdings im Regierungsbezirk nicht sonderlich in Erscheinung.
Vier Aggies vor dem Weißen Haus
Hält: Das Washington Monument
Arlington National Cemetery mit ca. 300.000 Gräbern
Vor dem Vietnamkrieg-Denkmal mit über 54.000 Namen von gefallenen oder vermissten US-Soldaten
Das Capitol - Sitz des US-Congress´
Chinatown in Washington, D.C.
Der eigentliche Grund meines Besuches an der Ostküste war die Teilnahme an dem Seminar "Washington Campus", in dem regelmäßig MBA-Studenten aus dem ganzen Land eine Woche lang einen Einblick in die politischen Strukturen und die Arbeitsweise des "Federal Government of the United States" bekommen können! Persönlich konnte ich mit diesem Seminar meinen Erfahrungsschatz im Kennenlernen der Vereinigten Staaten erweitern und gleichzeitig 3 Credit Points für mein MBA-Studium erwerben.
Während des gesamten Seminars habe ich regelmäßig Vorträge von ehemaligen, als auch aktiven Regierungsmitgliedern gehört, in denen verschiedene Aspekte, Grundlagenwissen, aber auch aktuelle politische Themen behandelt wurden. Der herausstechendste Eindruck, den  bekommen habe, ist, dass Washington völlig anders funktioniert als ich es mit meiner deutschen Brille bisher angenommen habe. Die Demokratie in den USA muss man unter den Gesichtspunkten der Gründungsväter verstehen. Das politische Klima in Washington ist geprägt von einem hohen Maß an Transparenz, lokal verwurzelten Abgeordneten, einem Zweiparteiensystem, einem geringen Fraktionszwang, und einer gut ausbalancierten Machtbalance zwischen Präsident und dem Congress. Interessant ist dabei auch das Zusammenspiel innerhalb des Congress´ zwischen dem Senat, der aus nur 100 direkt gewählten Mitgliedern (2 aus jedem Staat) besteht, und dem Repräsentantenhaus (umgangspr. "The House"), das aus 435 direkt gewählten Mitgliedern besteht. Damit repräsentiert ein Senator eine wesentlich größere Bevölkerungszahl als ein Repräsentant. Hinzu kommt, dass ein Senator für sechs Jahre gewählt ist, während sich ein Repräsentant alle zwei Jahre neu zur Wahl stellen muss. Diese Unterschiede beeinflussen maßgeblich den Entscheidungsprozess in beiden Kammern. Einem Gesetz müssen jedoch beide Kammern zustimmen, was nicht immer einfach ist, da beide Kammern recht eigenständig arbeiten mit eigenen Prioritäten und Ausschüssen. Aus diesem Grund fallen die getrennt verabschiedeten Gesetzentwürfe meist auch immer unterschiedlich aus, was dann relativ aufwendig in einem Reconcilation-Verfahren wieder zusammengeführt werden muss. Am Ende entscheidet die Zustimmung des Präsident, was er jedoch unter Anwendung seines Vetorechts verweigern kann. Da er es ist, der auch die Agenda des Congresses bestimmt, setzt der Präsident das Veto erfahrungsgemäß nur sehr selektiv eingesetzt.
Am Mittwoch haben dann den Congress in Aktion erlebt. Am Tagungstag haben wir verschiedene Ausschüsse besucht, die alle öffentlich sind und von jedem ohne Voranmeldung besucht werden können. Die eigentlich Arbeit des Congresses findet in diesen Ausschüssen statt. Die Sitzungen waren sehr unterhaltsam, vor allem unter dem Gesichtspunkt des politisch-rhetorischen Hin- und Hers zwischen Republikanern und Demokraten. Da derzeit die Demokraten in beiden Kammern die Mehrheit haben, können sie die politische Agenda des Congresses maßgeblich beeinflussen, ohne Rücksicht auf die Republikaner. In dem Beispiel meines Besuches war es ein Repräsentant aus Texas (Republikaner), der bei jedem Punkt sein Recht wahrgenommen hat, 5 min Redezeit auszunutzen. Seine eloquenten Ausführungen wurden jedoch jedes Mal mit dem Mehrheitsvotum (ein mal laut "Nay" rufen) der Demokraten abgeschmettert. Die Demokraten haben sich dabei meist gar nicht die Mühe gemacht, ihre Entscheidung mit einem adäquaten Redebeitrag zu begründen. Das geschah dann natürlich auch andersherum, als ihre Punkte besprochen wurden und einstimmig angenommen wurden. Am November wird sich das sicher ändern, denn dann werden 1/3 des Senats und das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt.
Eine weitere Komponente des Systems ist die gewollte und verfassungsrechtlich verankerte Zusammenarbeit von Interessensvertretung und Politik im täglichen politischen Entscheidungsprozess. Lobbyismus ist ein altgedientes Geschäft in Washington mit derzeit fast 17.000 registrierten Vertretern, aber auch ein Grundrecht in der amerikanischen Verfassung. Das Recht auf Petition ist fest im First Amendment (1. Anhang) der Verfassung verankert, wo auch die Grundrechte (Bill of Rights) geregelt sind. Anders als in Europa wird Lobbyismus auch viel offener praktiziert. Es geht im Wesentlichen darum, Politikern die Tragweite bevorstehender Entscheidung auf ihre eigene Wählerschaft nahe zu bringen. Nach Aussage und Erfahrungen der meisten Redner hat man dabei jedoch nur Einfluss, wenn man es versteht, die eigenen Wähler eines Volksvertreters auf seine Seite zu bringen, denn die Wiederwahl ist immer noch das größte Ziel eines jeden Abgeordneten.
Ich habe also eine Menge lernen und erfahren dürfen in der vergangenen Woche. Weitere Themen waren die Gesundheitsreform, die stetig wachsende Staatsverschuldung, und Aspekte, wie die globale Entwicklung und ihre Auswirkungen auf zukünftige amerikanische Innen- und Außenpolitik. Um diese Flut an Informationen ein wenig zu verarbeiten, haben wir uns regelmäßig ins Washingtoner Nachtleben gestürzt. Es gibt eine Menge toller Plätze, von denen Georgetown, Chinatown, DuPont Circle, oder Adams Morgan nur einige Beispiele sind! Nach einer Woche Seminar bin ich dann am Samstag aufgebrochen in weitere Städte der Ostküste, beginnend mit Philadelphia.
Out in Georgetown
Die Expansion geht weiter: Vapiano in Chinatown, Washington, D.C.
Hätte ich hier nicht erwartet: Napoleon in Washington, D.C.
Moderne Kunst (?...!)

Sonntag, 23. Mai 2010

Zehn Monate USA oder ein akademisches Jahr verging wie im Flug

Ich kann es kaum glauben: das erste akademische Jahr ist schon vorbei, d.h. seit 10 Monaten bin ich nun schon in den USA. Mit diesem Beitrag möchte ich für euch die Zeit am Ende meines Semesters in aller Kürze Revue passieren lassen.
Das akademische Jahr in den USA endet bei den meisten Universitäten im Monat Mai, so auch an der Texas A&M University. Konkret äußerte sich dieser Umstand durch eine Häufung von Hausarbeiten, Gruppenprojekten, Präsentationen, und nicht zu vergessen: die Abschlussprüfungen. Das Arbeitspensum war um einiges höher, als ich es von ähnlichen Phasen während meines Bachelorstudiums gewohnt war. Dabei möchte ich keineswegs meinen Bachelor in Abrede stellen, denn die Erhöhung der Leistung hat im MBA-Programm didaktische Methode. Wir sollen Fähigkeiten, wie Time Management und effektives Priorisieren, ausprägen. Wenn man in dieser Phase seinen Qualiätsanspruch nicht vollends begraben will, schrumpft die freie Zeit arg zusammen. Nichtsdestotrotz habe ich diese Zeit sehr gut überstanden und konnte das Semester am 13. Mai 2010 erfolgreich abschließen. Über die Hälfte des MBA-Studiums ist damit bereits passé, eine freudige als auch sehr wehmütige Tatsache.
Zur gleichen Zeit war ich damit beschäftigt, mein Visum zu verlängern und ein Vorhaben vorzubereiten, das aufgrund einiger positiver Umstände finanzieller Natur zu meiner außerordentlichen Freude nun Realität wird: ich werde ab Sommer 2010 einen weiteren Master parallel zum MBA beginnen. Der Plan ist, innerhalb meines zweijährigen Aufenthalts neben dem MBA noch den Master in Management Information Systems (MBA) zu absolvieren. Fachliche Überlappungen und die Inkaufnahme zusätzlicher Kurse in den nächsten Semestern bis einschließlich August 2011 machen dieses Vorhaben möglich. Das begeisternde während der Planungsphase war, zu sehen, wie sich ein Baustein nach dem anderem passend zusammengesetzt hat. Die fachliche, als auch finanzielle Komponente ergänzen sich auf wunderbare Weise!