Montag, 12. April 2010

U.S. Census 2010: Statistik auf Amerikanisch

Dass die U.S.A. manche Dinge anders regeln als wir in Europa, zeigt sich an dem Beispiel, wie die U.S. Regierung den Überblick über die eigene Bevölkerung behält. In einem Land mit ca. 300 Millionen Einwohnern ohne einheitlich geregeltem Meldewesen und jährlichen Einwanderungszahlen in Millionenhöhe hat die Regierung nicht viele Möglichkeiten, eine exakte Datengrundlage für richtungsweisende Entscheidungen zu bekommen. Wie aber schafft sie es trotzdem, politische Entscheidungen auf ein solides Fundament zu stellen und Mittel zielgerichtet an der richtigen Stelle einzusetzen? Das Instrument dazu heißt: U.S. Census!
Die Volkszählung hat dabei wenig mit antiker, biblischer Historie zu tun, sondern ist ein gewaltiger Mammutakt (Kosten: ca. 11,3 Mrd. USD) mit Hilfe eines hoch standardisierten Verfahrens und weitreichenden politischen Folgen: auf Basis der Volkszählung werden die Sitzplätze im U.S. Repräsentantenhaus verteilt und jährlich US$ 400 Mrd. zum Bau von Schulen und Krankenhäusern zugeordnet.
Seit 1790 findet diese Volkszählung alle zehn Jahre statt und jeder - wirklich jeder! -  Bürger ist zur Teilnahme gesetzlich verpflichtet: ob alt oder jung, US-Bürger oder Ausländer, selbst illegale Einwanderer! An jeden Haushalt wird ein Bogen mit 10 Fragen über Alter (wobei witzig ist, dass man das Alter und das Geburtsdatum angeben muss), Rasse, Nationalität, Anzahl der im Haushalt lebenden Personen  etc. versandt, den man zum Stichtag 17. April ausfüllen und zurückschicken muss. Wer der Aufforderung nicht nachkommt, bekommt Besuch von einem lokalen Mitarbeiter der Statistikbehörde und muss ihn dann selbst die Anzahl der im Haushalt lebenden Personen bestimmen lassen.
Um das Ganze auch mit der freiheitlich geprägten, amerikanischen Verfassung in Einklang zu bringen, gibt es eine rechtliche Besonderheit: Alle Angaben in dem Formular können nicht vor Gericht gegen jemanden verwendet werden. Auch werden die Angaben weder an FBI oder sonstige Geheimdienste (CIA, NSA) weitergegeben, sondern verbleiben allein beim Statistikamt, dem U.S. Census Bureau. Ein Präzedenzfall im Jahre 1980 unterstrich diese Tatsache, als vier FBI-Beamte die Herausgabe der Daten forderten, jedoch mit leeren Händen wieder nach Hause gehen musste. Einzige Ausnahme war der zweite Weltkrieg, wo diese Regelung zwischen 1941 und 1947 ausgesetzt wurde.
Wer mehr über das Verfahren erfahren möchte, kann sich hier (auf Deutsch) informieren: U.S. Census 2010
Ich selbst habe noch einen zweiten Bogen bekommen, der mehr Informationen enthält und nur als Stichprobe versandt wird. Darin werden Fragen zu meinem Beruf, Einkommen, meinen Lebenskosten usw. gestellt. Auch diesen muss man - sofern man ihn erhält - ausfüllen und rechtzeitig im bereits frankierten Umschlag zurücksenden.
Die beiden U.S. Census 2010 Fragebögen (li. für alle, re. für zufällig ausgewählte)
Es dauert ca. zwei Jahre, bis alle Daten ausgewertet sind und die Statistiken veröffentlicht werden. Die Ergebnisse sind relevant für die Stimmverteilung ab den Repräsentantenhauswahlen und der Präsidentschaftswahl im Jahre 2012.
Texas wird übrigens als der große Gewinner der Volkszählung gehandelt. Aller Wahrscheinlichkeit nach erhält es aufgrund eines überproportionalen Bevölkerungszuwachses in den letzten zehn Jahren 4 zusätzlich Sitze im U.S. Repräsentantenhaus und kommt damit auf insgesamt 38 von 435 Sitzen.