Dienstag, 25. Mai 2010

Washington, D.C. - U.S. Regierung hautnah erlebt

Ein Tag nach meiner letzten Semesterprüfung bin ich zusammen mit fünf weiteren Kommilitonen in die Bundeshauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika aufgebrochen. Nach einer Nacht bei einem der Kommilitonen im Süden von Houston und einer morgendlichen Tour durch den "Öl-Belt" von Texas (eine Mega-Raffinerie neben der anderen) landeten wir nach einem ruhigen Flug mit der sehr erfolgreichen Billigfluglinie Southwest Airlines in Baltimore. Per Shuttle ging es dann in den "District", wo wir unser zuvor gebuchtes Hotelzimmer bezogen. Damit kamen allein an diesem Tag nach über 10 Monate zwei US-Staaten, in denen ich bislang unterwegs war hinzu: Maryland und Virginia. Der District of Columbia ist leider kein Staat.
Die Reise nach Washington war ein lang ersehnte Abwechslung, denn diese Stadt ist völlig anders als Texas. Anstelle von breiten Straßen, Hochhäusern und weit angelegten Einkaufsparks tendiert die Stadtansicht mehr gen Europa. Es gibt eine gut ausgebaute U-Bahn, Strecken sind zu Fuß erlaufbar und statt endlos aneinandergereihten Fast Food Läden gab es wieder erstklassige Restaurants und Cafés.
Da wir alle noch nie in Washington waren, sind wir zwei Tage eher angereist und haben die Zeit genutzt, um die Stadt in allen Ecken und Enden kennenzulernen. In einer wahrhaft mammutartigen Tour haben wir alle Sehenswürdigkeiten abgeklappert, die in meinem 7.-Klasse Englischbuch so vorkamen: das Weiße Haus, Washington Monument, Lincoln Memorial, Arlington Cemetery, Denkmal zum 2. Weltkrieg, Vietnam- und Koreakrieg, Jefferson Monument und das Holocaust Museum - an einem Tag! Den Congress haben wir absichtlich ausgelassen, da wir noch im Laufe der folgenden Woche dort sein werden. Am Sonntag habe ich mich dann mit einer Fulbright-Freundin getroffen und wir haben uns zusammen die National Arts Gallery, sowie das Space and Science Museum angeschaut. Washington hat schon einiges an touristischen Aktivitäten zu bieten. Die Stadt macht einen sehr netten Eindruck, obgleich ich mir bewusst bin, dass Washington auch andere Seiten hat. Diese treten allerdings im Regierungsbezirk nicht sonderlich in Erscheinung.
Vier Aggies vor dem Weißen Haus
Hält: Das Washington Monument
Arlington National Cemetery mit ca. 300.000 Gräbern
Vor dem Vietnamkrieg-Denkmal mit über 54.000 Namen von gefallenen oder vermissten US-Soldaten
Das Capitol - Sitz des US-Congress´
Chinatown in Washington, D.C.
Der eigentliche Grund meines Besuches an der Ostküste war die Teilnahme an dem Seminar "Washington Campus", in dem regelmäßig MBA-Studenten aus dem ganzen Land eine Woche lang einen Einblick in die politischen Strukturen und die Arbeitsweise des "Federal Government of the United States" bekommen können! Persönlich konnte ich mit diesem Seminar meinen Erfahrungsschatz im Kennenlernen der Vereinigten Staaten erweitern und gleichzeitig 3 Credit Points für mein MBA-Studium erwerben.
Während des gesamten Seminars habe ich regelmäßig Vorträge von ehemaligen, als auch aktiven Regierungsmitgliedern gehört, in denen verschiedene Aspekte, Grundlagenwissen, aber auch aktuelle politische Themen behandelt wurden. Der herausstechendste Eindruck, den  bekommen habe, ist, dass Washington völlig anders funktioniert als ich es mit meiner deutschen Brille bisher angenommen habe. Die Demokratie in den USA muss man unter den Gesichtspunkten der Gründungsväter verstehen. Das politische Klima in Washington ist geprägt von einem hohen Maß an Transparenz, lokal verwurzelten Abgeordneten, einem Zweiparteiensystem, einem geringen Fraktionszwang, und einer gut ausbalancierten Machtbalance zwischen Präsident und dem Congress. Interessant ist dabei auch das Zusammenspiel innerhalb des Congress´ zwischen dem Senat, der aus nur 100 direkt gewählten Mitgliedern (2 aus jedem Staat) besteht, und dem Repräsentantenhaus (umgangspr. "The House"), das aus 435 direkt gewählten Mitgliedern besteht. Damit repräsentiert ein Senator eine wesentlich größere Bevölkerungszahl als ein Repräsentant. Hinzu kommt, dass ein Senator für sechs Jahre gewählt ist, während sich ein Repräsentant alle zwei Jahre neu zur Wahl stellen muss. Diese Unterschiede beeinflussen maßgeblich den Entscheidungsprozess in beiden Kammern. Einem Gesetz müssen jedoch beide Kammern zustimmen, was nicht immer einfach ist, da beide Kammern recht eigenständig arbeiten mit eigenen Prioritäten und Ausschüssen. Aus diesem Grund fallen die getrennt verabschiedeten Gesetzentwürfe meist auch immer unterschiedlich aus, was dann relativ aufwendig in einem Reconcilation-Verfahren wieder zusammengeführt werden muss. Am Ende entscheidet die Zustimmung des Präsident, was er jedoch unter Anwendung seines Vetorechts verweigern kann. Da er es ist, der auch die Agenda des Congresses bestimmt, setzt der Präsident das Veto erfahrungsgemäß nur sehr selektiv eingesetzt.
Am Mittwoch haben dann den Congress in Aktion erlebt. Am Tagungstag haben wir verschiedene Ausschüsse besucht, die alle öffentlich sind und von jedem ohne Voranmeldung besucht werden können. Die eigentlich Arbeit des Congresses findet in diesen Ausschüssen statt. Die Sitzungen waren sehr unterhaltsam, vor allem unter dem Gesichtspunkt des politisch-rhetorischen Hin- und Hers zwischen Republikanern und Demokraten. Da derzeit die Demokraten in beiden Kammern die Mehrheit haben, können sie die politische Agenda des Congresses maßgeblich beeinflussen, ohne Rücksicht auf die Republikaner. In dem Beispiel meines Besuches war es ein Repräsentant aus Texas (Republikaner), der bei jedem Punkt sein Recht wahrgenommen hat, 5 min Redezeit auszunutzen. Seine eloquenten Ausführungen wurden jedoch jedes Mal mit dem Mehrheitsvotum (ein mal laut "Nay" rufen) der Demokraten abgeschmettert. Die Demokraten haben sich dabei meist gar nicht die Mühe gemacht, ihre Entscheidung mit einem adäquaten Redebeitrag zu begründen. Das geschah dann natürlich auch andersherum, als ihre Punkte besprochen wurden und einstimmig angenommen wurden. Am November wird sich das sicher ändern, denn dann werden 1/3 des Senats und das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt.
Eine weitere Komponente des Systems ist die gewollte und verfassungsrechtlich verankerte Zusammenarbeit von Interessensvertretung und Politik im täglichen politischen Entscheidungsprozess. Lobbyismus ist ein altgedientes Geschäft in Washington mit derzeit fast 17.000 registrierten Vertretern, aber auch ein Grundrecht in der amerikanischen Verfassung. Das Recht auf Petition ist fest im First Amendment (1. Anhang) der Verfassung verankert, wo auch die Grundrechte (Bill of Rights) geregelt sind. Anders als in Europa wird Lobbyismus auch viel offener praktiziert. Es geht im Wesentlichen darum, Politikern die Tragweite bevorstehender Entscheidung auf ihre eigene Wählerschaft nahe zu bringen. Nach Aussage und Erfahrungen der meisten Redner hat man dabei jedoch nur Einfluss, wenn man es versteht, die eigenen Wähler eines Volksvertreters auf seine Seite zu bringen, denn die Wiederwahl ist immer noch das größte Ziel eines jeden Abgeordneten.
Ich habe also eine Menge lernen und erfahren dürfen in der vergangenen Woche. Weitere Themen waren die Gesundheitsreform, die stetig wachsende Staatsverschuldung, und Aspekte, wie die globale Entwicklung und ihre Auswirkungen auf zukünftige amerikanische Innen- und Außenpolitik. Um diese Flut an Informationen ein wenig zu verarbeiten, haben wir uns regelmäßig ins Washingtoner Nachtleben gestürzt. Es gibt eine Menge toller Plätze, von denen Georgetown, Chinatown, DuPont Circle, oder Adams Morgan nur einige Beispiele sind! Nach einer Woche Seminar bin ich dann am Samstag aufgebrochen in weitere Städte der Ostküste, beginnend mit Philadelphia.
Out in Georgetown
Die Expansion geht weiter: Vapiano in Chinatown, Washington, D.C.
Hätte ich hier nicht erwartet: Napoleon in Washington, D.C.
Moderne Kunst (?...!)

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