Mittwoch, 4. Mai 2011

Als Deutscher im Ausland

Wer von euch schon mal eine längere Zeit im Ausland war, kennt eventuell die Situation, aber für alle, die noch nie solch eine Erfahrung gemacht haben, möchte ich mal einen kleinen Einblick in meine Rolle als "Repräsentant für Deutschland" geben.
In meinem näheren Umfeld bin ich der einzige Deutsche. Das schließt beide MBA-Jahrgänge, die gesamte Business School (zumindest habe ich noch keinen anderen getroffen), den Fulbright-Freundeskreis, Kirche und meine Kommilitonen im MIS-Programm ein. Dabei gehe ich Deutschen keineswegs aus dem Weg, aber ich suche sie auch nicht händeringend. Ich wage zu behaupten, dass von den 49.000 Studenten bei Texas A&M weniger als 30 Deutsche zu finden sind.
Wenn man in solch einem Umfeld verkehrt, schlüpft man automatisch in die Rolle eines Repräsentanten seines eigenen Heimatlandes - ob man will oder nicht! Alle Handlungen und Äußerungen werden automatisch an dem eigenen Bild von Deutschland gespiegelt. Erst danach kommt die individuelle Person. Selbst persönliche Interessen, wie zum Beispiel der Musikgeschmack, werden dann auf Gesamtdeutschland übertragen. Als ich einmal meinte, dass ich kein Techno-Fan bin, kam gleich die Rückfrage, ob das in Deutschland nicht mehr angesagt sei? Auf der anderen Seite glauben jetzt wahrscheinlich viele meiner Freunde, dass jeder Deutsche Flip-Flops hasst, nur weil ich selbst keine trage.
Besser nachvollziehen kann man dann schon die Rolle als Informationsquelle. Egal, ob jemand aus meinem Bekanntenkreis demnächst mal nach Deutschland reist oder in den Vorlesungen irgendeine Frage auftaucht: ich bin immer der erste Ansprechpartner! Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht das Wort "Germany" fällt. Es ist also wichtig, gut informiert zu sein. Wirtschaft, Politik, Geographie, Geschichte, kulinarische Gepflogenheiten, Kunst und Kultur - die Bandbreite an Themen ist groß! In meiner MBA-Klasse spielten vor allem die tagesaktuellen Neuigkeiten eine große Rolle, beispielsweise während der Euro-Krise in Griechenland. Andere wiederum fragen nach Reiseempfehlungen oder wollen einfach wissen, was "Happy Birthday" auf Deutsch heißt. Ich habe mittlerweile eine Reihe an Materialien erstellt, u.a. einen 2-seitigen Plan mit Tipps für das Reisen in Deutschland, eine vielseitig-nutzbare Deutschlandpräsentation oder eine Übersicht über die Deutsche Küche (für einen Vortrag bei einem International Cuisine Club).
Man hat es aber auch relativ leicht als Deutscher, denn ich begegne sehr vielen, die einem gewissen Grad an Bewunderung gegenüber Deutschland hegen. Vor allem die Autoindustrie macht einen phänomenalen Job, die "deutsche Ingenieurskunst" zu verkaufen. Aber auch Themen, wie unsere Geldpolitik, Kunst und Kultur, Organisationsvermögen, funktionierendes Nahverkehrssystem und die wirtschaftliche Stärke haben diesen Ruf wachsen lassen. Dabei fragen sich ganz viele Amerikaner, wie Deutschland es schafft, trotz des umfassenden Sozialstaates wirtschaftlich so erfolgreich zu sein. Das ist für Viele ein unerklärlicher Widerspruch. Natürlich ist es ein gutes Gefühl, auf dieser Bewunderungswelle zu schwimmen. Allerdings versuche ich auch, ein möglichst realistisches Bild zu geben und unsere alltäglichen Diskussionen (z.B. um Hartz IV) mit einzubringen.
Wenn man so oft über Deutschland redet, bleiben einige Stereotypen natürlich nicht aus. Das meiste ertrage ich freundlich, zum Beispiel Bier, Pünktlichkeit, Fußball oder Rammstein. Nur ein Thema kann mich schon manchmal auf die Palme bringen: David Hasselhoff. Bevor ich in dies USA kam, habe ich mit Absicht noch kein einziges Lied von ihm gehört, aber hier ich werde ständig auf ihn angesprochen. Meine besten Freunde wissen schon, wie sie mich damit aufziehen können ;-) Beim Thema Fußball muss ich viele Amerikaner enttäuschen, denn ich kann es nicht sehr gut. Allerdings bin ich gern mit dabei, wenn sie ein paar Leute zum Kicken brauchen.
All diese Prozesse führen auch zu einer Sinneswandlung in mir selbst. Man reflektiert - was ist eigentlich Deutsch? Ein Beispiel ist die banale Frage, ob wir in Deutschland unsere Bettwäsche bügeln? Ich weiß die genaue Antwort nicht, aber schätze, dass es einige tun. Selbst wenn ich es genau wüsste, ist die Frage offen, ob man daraus eine Gewohnheit für das gesamte Land ableiten kann? Und wenn ja, ist es wirklich typisch deutsch oder findet man bei unseren europäischen Nachbarn ähnliche Verhaltensweisen? Dieses Beispiel verdeutlicht, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, eine klare Antwort zu geben. Ausweichen kann man, in dem man von sich selbst berichtet. Allerdings muss die Person dann wissen, dass ich nicht das gesamte Spektrum Deutschlands abbilde, sondern nur einen Teil. Auf der anderen Seite ist es aber auch erstaunlich zu sehen, wie deutsch man doch oftmals ist. Das wird offensichtlich, wenn man im Drive-Thru von McDonalds nach 30 Sekunden Wartezeit automatisch den Motor ausstellt oder anfängt, den Wochenendausflug akribisch stundenweise durchzuplanen. Eine weitere Verhaltensweise, die wir Deutsche vehement pflegen, ist das Ausreden lassen. Hier in Amerika wird dies zwar auch als höflich angesehen. Allerdings halten sich die meisten nicht dran. Hier in den USA ist es daher manchmal ratsam, mit selbstbewusster Stimme einzuschreiten, um zu Wort zu kommen.
Zum Schluss will ich noch eine Tatsache hervorheben: Dumme Fragen habe ich noch keine erlebt. Das mag vielleicht daran liegen, dass ich in College Station bin mit lauter Universitätsstudenten, aber auch, weil Deutschland durchaus bekannt ist! Wenn nun ein Philosophie-Student denkt, Siemens sei eine amerikanische Firma, kann ich ihm das nicht verübeln. An der Business School sollte das allerdings nicht passieren! Hier kann man wiederum die Leute überraschen, wenn man ihnen erzählt, dass diese deutsche Firma 80.000 Mitarbeiter in den USA beschäftigt.

3 Kommentare:

  1. Hi Martin !
    Ein schöner Artikel :)
    Deine Präsentationen über Deutschland würde ich auch gerne einmal sehen!
    Weiterhin viel Spaß in den USA und bis bald in Deutschländ...

    AntwortenLöschen
  2. Vielen Dank, Miri! Ich kann dir die Praesentation gern zusenden oder du schaust sie dir auf Youtube an: http://www.youtube.com/watch?v=nyBMMgbt-eA!
    Es sind nur noch 4 Monate bis zu meiner Rueckkehr. Bin schon gespannt, werde Texas aber auch vermissen ;-)

    AntwortenLöschen
  3. Ich finde den Beitrag auch sehr interessant, obwohl ich bezueglich des letzten Teils andere Erfahrungen gemacht habe. ;)
    aber das wird wohl wirklich am Umfeld liegen!

    AntwortenLöschen